Vor 10 Tagen noch haben wir den 76. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus gefeiert. Überschattet wurde dieser historische Tag in Lichtenberg dieses Jahr von einem Aufmarsch sogenannter “Querdenker*innen”, die wenige Tage zuvor durch unsere Kieze zogen und teils antisemitische Verschwörungserzählungen verbreiteten. Und jetzt, wenige Tage später, müssen wir auf ein geschändetes jüdisches Mahnmal blicken. Das zeigt doch sehr konkret wie gesellschaftsfähig antisemitischer Hass geworden zu sein scheint, aber auch, dass dieser nie weg war und dass antifaschistische Arbeit zu jedem Zeitpunkt notwendig war, ist und bleibt.
Author: AVL
Kundgebung nach Schändung des Gedenksteins der jüdischen Gemeinschaft Hohenschönhausen
Ergänzende Gedanken zum Interview in der jungleworld vom 11.02.2021
Interview: https://jungle.world/artikel/2021/06/die-situation-war-erdrueckend
Leider war der Umfang für das Interview recht klein gesteckt und so haben es einige Punkte, die uns wichtig waren, nicht in den Artikel geschafft. Wir versuchen an dieser Stelle diesen Gedanken Raum zu geben.
Zudem wollen wir betonen, dass das fehlende Gendern auf die Vorgaben der jungleworld zurückzuführen ist und so nicht von uns formuliert wurde.
Strategie & Inkompetenz hinter der Räumung
Es ist unserer Meinung in der Gentrifizierung der Rummelsburger Bucht durchaus ein Muster zu erkennen. Es wird systematisch versucht Besetzer:innen loszuwerden und der Bezirk ist bemüht, die damit verbundenen Imageschäden zu umgehen, indem er seinen Anteil an den Maßnahmen verschweigt oder beschönigt. Das konnte schon bei der kalten Räumung des SabotGarden vor einiger Zeit beobachtet werden. Damals wurden die Bewohner:innen von Securities so lange schikaniert, bis diese letztendlich von allein gingen. Es wurde mit Scheinwerfern 24/7 auf die Zelte geleuchtet, sie wurden eingezäunt, Secus machten Einlasskontrollen, wiesen Menschen grundlos ab oder patrolierten mitten in der Nacht quer durch die Zelte. Alles in Auftrag gegeben durch den Bezirk, wie sich später herausstellte.
So wurde der katastrophale Zustand des Camps, welcher durch die Verantwortlichen mehrmals hervorgehoben wurde, lange Zeit bewusst in Kauf genommen. Es wurden frühere Hilfsangebote, nach und nach mit der Begründung gestrichen, dass die Bucht für wohnunglose Menschen nicht zu attraktiv werden solle. Uns wurde von abgebauten Sanitäranlagen und abgezogener Kältehilfe erzählt. Es wurde versucht, es den Bewohner:innen stetig ungemütlicher zu machen.
Hinzu kommt, wie miserabel die Zwangsräumung durchgeführt wurde. Selbst wenn mensch dem Bezirk die guten Absichten glauben wollte, entschuldigt das nicht, dass das Camp, in dem eine große Zahl von Menschen kein oder wenig deutsch spricht, ohne Dolmetscher:innen betreten wurde. Wie sollten die Leute eigentlich auf euer ‚tolles‘ Angebot reagieren, wenn sie gar nicht wussten, was ihr außer einem Rausschmiss vorhabt? Ist es verwunderlich, dass kaum jemensch in die Busse vor der Tür stieg, wenn überhaupt nicht klar war, wohin diese überhaupt fuhren?
Starke Resonanz und Beteiligung
Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass viele Stimmen die öffentlichen Statements zur Räumung kritisch hinterfragt haben und auf viel Resonanz gestoßen sind. Mehrere hundert Menschen haben es sich über den Tag hinweg trotz des eisigen Wetters nicht nehmen lassen, ihrer Solidarität mit den Betroffenen auf unterschiedliche Weise Ausdruck zu verleihen. Außerdem reißt die Solidarität nicht ab: am Mittwoch demonstrierten hunderte Menschen mit den Betroffenen vor dem roten Rathaus, am Freitag fährt die Berliner Obdachlosenhilfe zur Essensausgabe an die Bucht. Danke an die Organisator:innen sowie die anwesenden Pressevertreter:innen, die nach wie vor das Ausmaß dieser Sauerei dokumentieren und kritisch begleiten. Vielen Dank auch an die mutigen Menschen, die kurzerhand einen Bagger besetzten, um die Zerstörung des Camps zu verhindern. Falls ihr im Zusammenhang mit diesen Aktionen mit Repression konfrontiert werdet, zögert nicht euch bei uns zu melden!
Vorwürfe der Instrumentalisierung
Wie bereits im Interview erwähnt, halten wir solche Vorwürfe grundsätzlich für eine bewusste Diskursverschiebung, um Kritik an der Räumung zu ersticken. Dadurch soll erreicht werden, dass allen Demonstrierenden die Betroffenheit durch die Räumung abgesprochen wird. Ehemalige Bewoher:innen, welche ebenfalls bei den Protesten zu Wort kommen, werden so unsichtbar gemacht. Dabei ist offensichtlich, dass insbesondere Gruppen laut werden, die eng mit den Menschen aus dem Camp gelebt oder gar dort gewohnt haben. Vertreter:innen von trans*sexwork, die Selbstvertretung Wohnungsloser, Bewohner:innen des Wagenkollektivs Mollies, die DieselA und Rettungssanitäter:innen, welche auf dem Gelände aktiv waren, kritisieren allesamt diese Räumung. Außerdem wird den Bewohner:innen des Camps abgesprochen, selbst einen politischen Standpunkt zur Gentrifizierung ihrer Stadt zu haben und diesen auf diese Weise auszuleben.
Dem Bezirk wäre es wohl recht, wenn nur über die Betroffenen gesprochen wird, aber nicht mit ihnen. Dann so wäre es einfacher Kritik auf die versuchte Weise vom Tisch zu wischen. Vermutlich wurden aus diesem Grund auch der Kontakt von Journalist:innen mit den Menschen unterbunden, welche sich am Tag nach der Räumung in der Traglufthalle befunden haben. Das das dieses mal nicht funktionieren wird, davon sind wir überzeugt. Und, dass diese Tatsache die Verantwortlichen verängstigt, sehen wir auch schön an der Reaktion. Es werden falsche Aussagen getätigt, zurückgerudert, die Räumung geleugnet und die Verantwortlichkeit bei anderen gesucht. Denn es ist Wahljahr.
Der „Zapfhahn88“ macht dicht – eine Chronologie
Der Zapfhahn88 in der Konrad-Wolf-Straße 88 galt als einer der wenigen Rückzugsorte der extremen Rechten in Alt-Hohenschönhausen seit der Schließung des Wearwolf Streetware 2008 [1] direkt nebenan (89). Die BFC-Fankneipe war Austragungsort der monatlichen Stammtische der Lichtenberger NPD. eden zweiten Donnerstag im Monat etwa ein dutzend Neonazis um Manuela und Dietmar Tönhardt, versorgten sich mit NPD-Material und zogen meist anschließend los, um in der Gegend Aufkleber zu kleben oder zivilgesellschaftliche Projekte zu beschädigen [3]. Von hier aus wurden um das Jahr 2015 Aktionen gegen Geflüchtetenunterkünfte und solidarische Projekte im Kiez organisiert und ausgeführt. Neonazis fotografierten sich gegenseitig beim Zeigen des Hitlergrußes während des NPD-Stammtisches oder posierten vermummt mit Pyrotechnik. Das alles geschah im Wissen und Beisein der Wirtin [4][5].
Nach den rassistischen Mobilisierungen ging der NPD im Bezirk schnell die Luft aus. Die Aktivitäten der Hohenschönhausener Neonazis wurden zunehmend nicht mehr im Namen des Ortsverbandes getätigt, wie auch die nach wie vor stattfindenen Stickertouren zeigen. Gestickert wurde nun beispielsweise vermehrt Propaganda der Identitären Bewegung. Was von den NPD Stammtischen blieb war eine Kneipe, die weiterhin als Rückzugsort Berliner Neonazis fungierte, wie sich 2019 zeigte. Die Neonazis der „Schutzzonen“ Kampagne der NPD trafen sich hier, nachdem sie an anderer Stelle für das „Dienstagsgespräch“ (regelmäßige Veranstaltung des Faschisten Hans-Ulrich Pieper mit wechselnder Location) Wache gestanden haben. Der Zapfhahn war zu dem Zeitpunkt nicht geöffnet, die Gruppe hatte einen Schlüssel [6].
Die extrem rechten Aktivitäten, die von der Adresse ausgingen, hatten Konsequenzen. Aus diesem Grund wollen wir die uns bekannten antifaschistischen Interventionen kurz zusammenfassen:
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Kundgebung für einen Eugeniu-Botnari-Platz
Heute fand vor dem Kulturhaus in Karlshorst eine antifaschistische Kundgebung statt. Anlass war die Sitzung des Kulturausschusses der Bezirksverordneten-
versammlung. Dort sollte über ein würdiges Gedenken an Eugeniu Botnari debattiert werden. Botnari wurde vor über vier Jahren bei einem rechten Übergriff im S-Bahnhof Lichtenberg tödlich verletzt. Die Kundgebung bekräftigte die Forderung, dass es nicht um irgendeine Form des Gedenkens gehen kann. Allein die Benennung des südlichen Bahnhofsvorplatzes nach Botnari ist der Grausamkeit der Tat angemessen. Auf diese Weise kann ein würdiges Zeichen gegen rechte Gewalt im Stadtteil entstehen. Um zu zeigen, dass viele Menschen so denken, wurde während der Versammlung ein Offener Brief mit der Forderung verlesen. Zugleich wurde eine Liste mit Unterschriften von 173 Unterstützer*innen an die Vorsitzende des Kulturausschusses, Camilla Schuler, und den Stadtrat für Kultur, Bezirksbürgermeister Michael Grunst übergeben. Dieser setzte sich selbst spontan auf die Unterstützer*innen-Liste.
Redebeitrag zur “Kein Raum”-Kundgebung vor dem Hotel Victoria in der Kaskelstraße 50 (15.10.2020)
Die Antifaschistische Vernetzung Lichtenberg sendet solidarische Grüße an die Wut-Kundgebung gegen die Betreiber*innen vom Hotel Victoria in der Kaskelstraße. Zusammen werden wir es schaffen, dieses blau-braune Drecksloch dichtzumachen. Die Betreiber*innen vom Hotel Victoria arbeiten mit der AfD zusammen. Sie stellen der neofaschistischen Partei ihren Veranstaltungssaal in Kaulsdorf zur Verfügung. Die Partei will dort ihren Landesparteitag abhalten, den sie seit über einem Jahr aufschieben musste. Die Hotel-Betreiber*innen Tatjana G. und Oleg K. machen sich so zu Komplizen einer menschenverachtenden Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung. Das ist eine eklige Sache, die mich als Hotelgast nicht mehr ruhig schlafen lassen würde. Aber nicht nur ideologisch scheint das Hotel Victoria echt abgefuckt und ranzig zu sein. Auch die Beherbergung ist wohl von eher fragwürdiger Qualität. Wir haben zur Veranschaulichung mal ein paar Kommentare aus online-Bewertungsportalen zusammengesucht. Vielleicht hilft das den wenigen Gästen, sich beim nächsten Berlin-Urlaub für eine andere Unterkunft zu entscheiden. Und auch die Anwohnenden im Kaskelkiez können sich überlegen, ob sie Angehörige oder Freund*innen in diesem Hotel übernachten lassen wollen würden.
Lichtenberger Gedenkwochen, Kurt Schneider – von Neonazis ermordet
Gedenkveranstaltung für Kurt Schneider – Kein Opfer rechter Gewalt ist vergessen!
06.10.2020 ab 17:00 vor dem Rathaus Lichtenberg
Am Vortag (05.10.2020) ab 19:00
Infoveranstaltung: „Mord an Kurt Schneider“
in der Remise der Magdalenenstraße 19
Am 06. Oktober gedenken wir Kurt Schneider, welcher in dieser Nacht vor 21 Jahren von einer Gruppe Neonazis aus sozialchauvinistischen Motiven ermordet wurde.
Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass rechte Übergriffe oftmals nicht als solche anerkannt werden. In Berlin gab es seit Beginn der 1990er Jahre mindestens 20 Todesopfer rassistischer und faschistischer Gewalt.
Kurt Schneider zählt erst seit der Veröffentlichung einer Studie des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin aus dem Jahr 2018 offiziell dazu, bis dahin galt die Tat als unpolitischer Raubmord. Die Studie jedoch stellte eindeutig klar, dass Kurt Schneider nicht wegen des entwendeten Kleingelds ermordet wurde. Ausschlaggebend war die faschistische Ideologie der Täter, welche teils einschlägig vorbestraft waren und sich den extrem rechten “Hammerskins” zugehörig fühlten. Diese betrachteten ihn als vermeintlich arbeitslosen Alkoholiker und demnach als minderwertig.
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Gedenkbroschüren jetzt verfügbar!
Seitdem wir im letzten Jahr die Gedenkarbeit anlässlich des Mordes an Kurt Schneider mit der Kundgebung am 06. Oktober aufgenommen haben, waren wir nicht untätig. Bestärkt durch den Zuspruch und durch die Vernetzung in der “Niemand ist vergessen” Gedenkkampagne wurde auch die Gedenkarbeit für Eugeniu Botnari wieder aufgenommen.
Wir hatten das Glück uns mit Initiativen, Expert:innen und engagierten Menschen vernetzen zu können, deren Erfahrungen und Expertise wir gemeinsam zu Papier gebracht haben. Das Resultat sind zwei Broschüren, die das Gedenken an Eugeniu Botnari und Kurt Schneider thematisch einordnen und die Umstände und Ideologien, die zu den Morden geführt haben, erklären.
„Der Mord an Kurt Schneider – eine Chronologie“ – Auszug aus der Gedenkbroschüre
Dies ist ein Auszug aus der Broschüre „Aktives Gedenken in Lichtenberg an Opfer rechter Gewalt – Kurt Schneider“. Sie wird zusammen mit einer weiteren Broschüre über Eugeniu Botnari am 17. September 2020 veröffentlicht. Beide Broschüren werden auch bei der Gedenkkundgebung an Eugeniu Botnari am 17. September 2020 ab 17:00 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz S+U Lichtenberg verteilt.
Der Mord an Kurt Schneider – eine Chronologie
Von „Antifaschistische Vernetzung Lichtenberg“ (AVL)
Der Berliner Bezirk Lichtenberg war bis vor einigen Jahren ein besonderer Brennpunkt rechter Gewalt. Dieser fiel auch Kurt Schneider zum Opfer, welcher in der Nacht vom 5. zum 6. Oktober 1999 von einer Gruppe Neonazis aus sozialchauvinistischen Motiven ermordet wurde. Seit Beginn der 1390er Jahre sind in Berlin mindestens 20 Menschen aufgrund rassistischer und faschistischer Motive ermordet worden. Continue reading „Der Mord an Kurt Schneider – eine Chronologie“ – Auszug aus der Gedenkbroschüre
Lichtenberger Gedenkwochen, Eugeniu Botnari – Todesopfer rechter Gewalt
Gedenkveranstaltung für Eugeniu Botnari – Kein Opfer rechter Gewalt ist vergessen!
17.09.2020 ab 17:00 vor dem Bahnhof Lichtenberg an der Weitlingstraße
im Anschluss ab 19:30
Infoveranstaltung: „Sozialchauvismus und Faschismus“ (von Anne Allex)
in der Remise der Magdalenenstraße 19
Am 17.9.2020 jährt sich der tödliche Angriff auf Eugeniu Botnari zum vierten Mal. Mit einer Kundgebung vor dem Bahnhof Lichtenberg wollen wir ab 17:00 an Botnari als Todesopfer rechter Gewalt erinnern. Sein Tod ist kein trauriger Einzelfall. Er ist Ausdruck rassistischer Strukturen der Abwertung, die die gesamte Gesellschaft durchziehen. Aus diesem Grund fordern wir die Benennung des Bahnhofsvorplatzes nach Eugeniu Botnari. Indem einem Opfer rassistischer Gewalt ein Platz im öffentlichen Raum zurückgegeben wird, können die tödlichen Folgen rechten Denkens sichtbar gemacht werden.
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