Redebeitrag nach der Schändung des Gedenksteins für die jüdische Gemeinde Hohenschönhausen (18.05.2021)

Foto: Robert Klages (@Klagesspiegel)

Vor 10 Tagen noch haben wir den 76. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus gefeiert. Überschattet wurde dieser historische Tag in Lichtenberg dieses Jahr von einem Aufmarsch sogenannter “Querdenker*innen”, die wenige Tage zuvor durch unsere Kieze zogen und teils antisemitische Verschwörungserzählungen verbreiteten. Und jetzt, wenige Tage später, müssen wir auf ein geschändetes jüdisches Mahnmal blicken. Das zeigt doch sehr konkret wie gesellschaftsfähig antisemitischer Hass geworden zu sein scheint, aber auch, dass dieser nie weg war und dass antifaschistische Arbeit zu jedem Zeitpunkt notwendig war, ist und bleibt.

In Anbetracht der antisemitischen Ausschreitungen der letzten Wochen in Berlin ist es einfach mit dem Finger auf bestimmte Gruppen zu zeigen und sie dafür verantwortlich machen zu wollen.
Wir wollen auch gar nicht abstreiten, dass es naheliegend ist, dass diese Tat in Verbindung mit dem anhaltenden Konflikt im Nahen Osten stehen kann, was sie nich weniger antisemitisch macht.
Doch was nicht vergessen werden darf ist, dass Lichtenberg ein Neonaziproblem hat, und das nicht erst seit gestern.
Neonazis, die doppelt davon profitieren, wenn Menschen sich jetzt dazu hinreißen lassen, auf antisemitische Anschläge mit Rassismus zu antworten.
Neonazis, die seit den Neunzigern für Übergriffe auf Menschen, Wohnungen und Einrichtungen von Migrant*innen, jüdischen Menschen und politischen Gegner*innen verantwortlich sind.
Neonazis, die vor nicht mal einem Jahr wahrscheinlich die Bar eines jüdischen Besitzers in der Fanninger Straße in Brand gesteckt haben.
Wir wollen auch daran erinnnern, dass wir jährlich unsere Kerzen und Blumen an diesem Ort ablegen und diese erstaunlich regelmäßig in irgendeiner Weise geschändet oder auf der Straße entsorgt werden. Auch vor dieser Schändung hat die Tafel schon einiges gesehen.
Wie könnte es auch anders sein, liegt sie doch direkt neben der erst kürzlich geschlossenen Nazikneipe “Zapfhahn88”. Hier wurden jahrelang NPD Stammtische abgehalten und rassistische Aufmärsche wie die vor der nahegelegenen Geflüchtetenunterkunft geplant. Von hier aus wurden auch gezielt Orte im Kiez angegriffen, die sich für ein solidarisches Miteinander einsetzen und den Faschist*innen somit zuwider waren. Auch das “Wearwolf” hat die Tafel schon überlebt, ein Neonazi Bekleidungsgeschäft in der Konrad-Wolf-Str. 89, das antifa-sei-dank schon vor etlichen Jahren dichtmachen musste.
Es ist unschwer zu erkennen: das Problem ist kein neues. Die Strukturen in Hohenschönhausen mögen vielleicht mit der Zeit weniger werden, die Kundschaft wohnt aber noch immer hier und die Ideologie bleibt unverändert. Das bezeugen allein schon die Zahlen des Lichtenberger Registers, die sich seit Jahren ständig überbieten. Allein im letzten Jahr wurden hunderte Hakenkreuze und antisemitische Parolen im Bezirk verteilt an Wohnhäuser und öffentlichen Einrichtungen gemalt. Einige davon schienen sich gezielt an vermeintlich jüdische Bewohner*innen zu richten.

Wir werden uns nicht hinstellen und behaupten zu wissen, aus welcher Ecke dieser Anschlag kommt. Die akute antisemitische Bedrohung, der jüdische Menschen durch islamistische Gruppen und deren Symphatisant*innen ausgesetzt sind, sei es in der Diaspora oder in Israel, darf nicht geleugnet werden. Wir möchten aber darauf hinweisen, wem es in die Hände spielen würde, wenn durch vorschnelles Framing jüdisches und muslimisches Leben gegeneinander ausgespielt wird. Denn rechten Hetzer*innen kommen solche Vorfälle sehr gelegen. Meinen Springer & Co. erstmal die Schuldigen identizifiert zu haben, geht es oft ganz schnell darum, mit vermeintlichen Sofortlösungen, also rassistischer Repression, Stimmung zu machen. Aus vorsichtigen Lippenbekenntnissen gegen Antisemitismus werden Sammelabschiebungen, Kopftuchverbote und Asylrechtsverschärfungen. Dass das auch auf das RotRotGrüne Berlin zutrifft ist keine Nachricht mehr Wert, denn die hiesige Abschiebepraxis hat sich durch sie keinen Deut verbessert. Was nicht folgt ist aber Sicherheit des jüdischen Lebens in Deutschland, denn dafür müsste sich eingestanden werden, dass das hausgemachte Antisemitismusproblem nie weg war.
Das lässt für uns nur einen logischen Schluss zu: Gegen JEDEN Antisemitismus!