Kundgebung für einen Eugeniu-Botnari-Platz

Kundgebung vor dem Kulturhaus Karlshorst. Foto: https://twitter.com/KimWinkler1312

Heute fand vor dem Kulturhaus in Karlshorst eine antifaschistische Kundgebung statt. Anlass war die Sitzung des Kulturausschusses der Bezirksverordneten-
versammlung. Dort sollte über ein würdiges Gedenken an Eugeniu Botnari debattiert werden. Botnari wurde vor über vier Jahren bei einem rechten Übergriff im S-Bahnhof Lichtenberg tödlich verletzt. Die Kundgebung bekräftigte die Forderung, dass es nicht um irgendeine Form des Gedenkens gehen kann. Allein die Benennung des südlichen Bahnhofsvorplatzes nach Botnari ist der Grausamkeit der Tat angemessen. Auf diese Weise kann ein würdiges Zeichen gegen rechte Gewalt im Stadtteil entstehen. Um zu zeigen, dass viele Menschen so denken, wurde während der Versammlung ein Offener Brief mit der Forderung verlesen. Zugleich wurde eine Liste mit Unterschriften von 173 Unterstützer*innen an die Vorsitzende des Kulturausschusses, Camilla Schuler, und den Stadtrat für Kultur, Bezirksbürgermeister Michael Grunst übergeben. Dieser setzte sich selbst spontan auf die Unterstützer*innen-Liste.

Bezirksbürgermeister Michael Grunst unterschreibt die Unterstützer:innenliste für den Eugeniu-Botnari-Platz. Foto: https://twitter.com/KimWinkler1312

In der Sitzung des  Kulturausschusses war die Lichtenberger Gedenkinitiative mit einem eigenen Wortbeitrag zur geforderten Platzbenennung vertreten. Dieser ist unten dokumentiert. Leider war die Resonanz mäßig. So erklärten die Ausschuss-Mitglieder der SPD, dass sie den Ausschuss nicht als richtigen Anlaufpunkt sehen. Zuerst müsse das Bezirksamt Vorschläge für ein Gedenken machen. Im Anschluss könne der Ausschuss über diese debattieren. Damit war der Punkt beendet. Nun warten alle auf die Vorschläge des Bezirksamtes. Doch eine Sache ist besonders knifflig. In Berlin dürfen Straßen und Plätze erst nach dem fünften Todestag einer Person nach ihr benannt werden. Das ist bei Eugeniu Botnari erst im nächsten Jahr der Fall. Deshalb ließen einige Ausschuss-Mitglieder durchblicken, dass die Forderung keine Aussicht auf Erfolg hätte. Dieses Argument ist scheinheilig. Wer die Forderung nach einer Platzbenennung nach Botnari unterstützt, kann jetzt schon die notwendigen Entscheidungen treffen, um diese zu gegebenen Zeit umzusetzen. Auch das Bezirksamt weiß jetzt, dass es über 170 Personen gibt, die ihm auf die Finger schauen und keine politischen Ausflüchte dulden werden. Es bleibt dabei: für ein würdiges Gedenken an die Opfer rechter Gewalt müssen wir schon selber kämpfen. Dabei ist jede Unterstützung notwendig.

Nachtrag: Weniger kontrovers waren die Diskussionen bei der Benennung einer bisher unbenannten Straßenkreuzung in Karlshorst nach den Digedags – bekannten Comic-Figuren aus der DDR. Wie es aussieht, wird es in Lichtenberg schneller einen Digedags-Platz als einen Eugeniu-Botnari-Platz geben. Ein deutlicheres Symbol für den politischen Stellenwert eines Gedenkens an die Opfer rechter Gewalt im Jahr 2020 in der Bundesrepublik hätte es kaum geben können.

In diesem Jahr ist auch eine Broschüre über den Mord an Eugeniu Botnari erschienen:

Broschüre Eugeniu Botnari Vorschaubild
Broschüre Eugeniu Botnari

Redebeitrag der Lichtenberger Gedenkinitiative vor dem Kulturausschuss der BVV am 28.10.2020

Liebe Mitglieder des Kulturausschusses der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung,

ich spreche heute zu Ihnen als Vertreter der Initiative „Aktives Gedenken in Lichtenberg“. Wir wollen diese Möglichkeit nutzen, um das Wort zu ergreifen und unserer Forderung nach einem würdigen Gedenken an Eugeniu Botnari Nachdruck zu verleihen. Mehr als 170 Organisationen und Einzelpersonen unterstützen die Forderung zur Benennung des südlichen Vorplatzes am S-Bahnhof Lichtenberg nach Botnari als Opfer rechter Gewalt. Sie haben den Offenen Brief unterschrieben, den wir heute der Vorsitzenden des Ausschusses und dem zuständigen Bezirksstadtrat überreicht haben.

Unser Anliegen hat eine nicht zu vernachlässigende gesellschaftspolitische Tragweite. Seit 1990 gab es in der Bundesrepublik mehr als 180 Todesopfer rassistischer, antisemitischer und politisch rechter Gewalt. Trotz dieser erschütternd hohen Zahl ist das Gedenken an sie keine Selbstverständlichkeit – auch in Lichtenberg nicht. Stattdessen häufen sich auch in unserem Bezirk wieder Vorfälle rechter Gewalt und Propaganda, wie das Lichtenberger Register dokumentiert. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, solche Taten und die hinter ihnen stehende Ideologie mit ihren tödlichen Folgen öffentlich zu thematisieren. Dabei müssen die Schicksale der Betroffenen sichtbar werden, nicht die Täter*innen. Es ist unsere demokratische Pflicht als weltoffene Stadtgesellschaft, eine klare Position gegen menschenverachtende Bedrohungen zu vertreten. Das Gedenken an Opfer rechter Gewalt ist somit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Rechte Übergriffe passieren nicht im luftleeren Raum. Sie bedürfen einer Umgebung, die sie ermöglicht. Der Angriff auf Eugeniu Botnari konnte geschehen, weil sich der Täter sicher fühlte. Als Menschen aus Lichtenberg haben wir alle eine Verantwortung, solche Taten nicht zu ermöglichen oder zumindest angemessen an die Betroffenen zu erinnern. Als Mitglieder vom Kulturausschuss der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung haben Sie nun die Chance, diese Verantwortung zu übernehmen. Sie können einen wichtigen Beitrag leisten und die Benennung des noch namenlosen südlichen Vorplatzes des S-Bahnhofs Lichtenberg in Eugeniu-Botnari-Platz beschließen oder zumindest empfehlen.

Doch was steht hinter dem Schicksal von Eugeniu Botnari? Eugeniu Botnari wurde vor bald fünf Jahren Opfer rechter Gewalt am S-Bahnhof Lichtenberg. Zum Zeitpunkt seines Todes war er gerade einmal 34 Jahre alt. Er hinterließ eine Frau in Moldawien und Verwandte in Berlin.
Als er starb war Botnari erst ein Jahr in Berlin. Obwohl er zumeist keinen festen Wohnsitz hatte, hat er in der Stadt gelebt. Er hat wie wir alle die Straßen und Plätze in Lichtenberg genutzt. Deswegen muss ihm auch hier gedacht werden.

Sein Tod ist aus vielen Gründen erschreckend: Am 17. September 2016 wurde Eugeniu Botnari in der EDEKA-Filiale im S+U Bahnhof Lichtenberg vom damaligen Filialleiter in einem Hinterraum des Marktes mit Quartzhandschuhen geschlagen und am Kopf verletzt. Dieser hatte ihn zuvor des Diebstahls verdächtigt. Einen Beweis dafür gibt es nicht. Nach dem Übergriff schickte der Täter noch Bilder seiner Tat mit rassistischen Kommentaren an andere Mitarbeitende. Drei Tage später starb Eugeniu Botnari an einer Hirnblutung, die durch die Schläge mitverursacht wurde. Der Täter André S. wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Im Prozess wurde deutlich, dass der abwertende und gewalttätige Umgang mit obdachlosen, migrantischen Menschen im Supermarkt keine Seltenheit war. Am rechten Hintergrund der menschenverachtenden Tat bestand für das Gericht kein Zweifel. Dennoch wurde Botnari bis heute nicht offiziell als Opfer rechter Gewalt anerkannt. Ein Grund mag sein, dass der Täter eben kein Neonazi war, sondern ein Mensch aus der sogenannten “Mitte der Gesellschaft”. So zeigt der Tod von Eugeniu Botnari, dass rechte Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Dagegen wollen wir ein klares Zeichen setzen:

– gegen Rassismus, der hier, wie so oft in der Bundesrepublik, ein tödliches Ende nahm – gegen die weiterhin bestehende Diskriminierung von erwerbslosen und wohnungslosen Menschen – gegen das alltägliche Wegschauen bei Gewalt in den Lichtenberger Kiezen – und schlussendlich gegen die menschenverachtende Gewalt und die Annahme, dass manche Mitmenschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Lebensweise weniger wert wären als andere

Wir wollen das Schweigen brechen. Viel zu lange wurde das Schicksal von Eugeniu Botnari vergessen. Wir wollen die Ungerechtigkeit benennen, die ihm widerfahren ist. Dafür setzen wir auf Ihre entschlossene Mithilfe. Es braucht ein öffentlich sichtbares Zeichen an dem Ort, an dem die Tat geschehen ist. Sie ist ein Teil lokaler Kiez-Geschichte und muss erinnert werden. Der dafür nötige Aufwand der Neubenennung ist minimal. Im Gegensatz zu einer Umbenennung könnten selbst die wenigen Anlieger ihre Adressen in der Weitlingstraße behalten.
Wir wollen, dass die vielbeschworene Vielfalt im Bezirk sich im Straßenbild wiederfinden lässt. Die Benennung des Bahnhofsplatzes nach Botnari würde ein Opfer rechter Gewalt wieder in die Mitte der Stadtgesellschaft rücken. Eine Gedenktafel am Rand würde ihn dagegen über seinen Tod hinaus in eine Position bringen, in der sich Eugeniu Botnari und andere Menschen, die eine ähnliche Geschichte haben, ohnehin schon befinden.
Zudem haben die neuesten Anschläge auf die provisorische Gedenktafel für Kurt Schneider gezeigt, dass die Erinnerungsorte an Opfer rechter Gewalt selbst von Zerstörung betroffen sind. Diese Gefahr bestünde bei der Umbenennung eines Platzes nicht. So könnte vielleicht ein Schild beschädigt werden, aber in den Karten, in den Köpfen und vielleicht den Herzen bliebe das Andenken an Botnari bestehen.

Mit dieser Ansicht sind wir nicht allein. Die Menschen, die unseren Offenen Brief unterschrieben haben, teilen sie. Die meisten von ihnen leben und arbeiten in Lichtenberg. Anderen kommen aus weiteren Berliner Bezirken, aber auch aus Ulm, Landau, Halle oder Saale. Ihnen ist es wichtig, das bundesweit an Opfer rassistischer Gewalt gedacht wird. Die Neubenennung des Platzes wäre somit über den lokalen Kontext hinaus deutlich machen, wie eine Stadtgesellschaft Verantwortung übernimmt. Dies ist gerade in einem Stadtteil wie dem Weitlingkiez, in dem extrem rechte Strukturen einst fest verwurzelt waren, von besonderer Wichtigkeit. Indem der Bezirk Lichtenberg einen öffentlichen Platz nach einem Opfer rechter Gewalt benennt, das noch nicht offiziell anerkannt ist, kann er bundesweit Geschichte schreiben. Dies wäre ein unglaublich wichtiger Schritt bei der Anerkennung von Opfern rassistischer Gewalt.

Wir finden: So vielfältig die Menschen im Bezirk sind, so vielfältig müssen auch die Geschichten sein, die das Straßenbild erzählt – selbst wenn sie weh tun. Doch nur, indem wir uns auch an die Schrecken erinnern, die in unserem Bezirk passiert sind, können wir gemeinsam verhindern, dass sie sich wiederholen. Wir appellieren an Sie. Bitte sorgen Sie mit ihrer Entscheidung dafür, an einem zentralen Platz des Bezirks ein unübersehbares Zeichen im Gedenken an Botnari zu setzen und den südlichen Vorplatz des Bahnhofs Lichtenberg nach ihm zu benennen. Bitte drängen Sie ihn nicht erneut an den Rand der bezirklichen Geschichte mit Gedenkformen, die leicht übersehbar sind. Wir plädieren dafür, den Eugeniu-Botnari-Platz zum 5. Jahrestag seines Todes, also am 20. September 2021, einzuweihen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Für ein würdiges Gedenken an Eugeniu Botnari und alle Opfer rechter Gewalt.