Ein Interview von Lothar Bassermann. Ursprünglich erschienen auf jungewelt.de
Anmerkung: Aufgrund von Zeichenbegrenzung sind nicht alle Punkte so detailiert aufgeführt wie es notwendig wäre. Zudem wurde der Beitrag von uns nachträglich entgendert.
Im Berliner Ortsteil Neu-Hohenschönhausen hat es im Rahmen einer offensichtlichen Serie seit Jahresbeginn 2022 rund 20 Mal gebrannt. Die Ermittlungen der Polizei führten auch zu Leon Suslik, einem 20jährigen Neonazi. Was ist Ihrer Gruppe, die auch das seit 9. Mai laufende Verfahren vor dem Landgericht verfolgt, dazu bekannt?
Bisher wissen wir, dass es in den letzten 18 Monaten regelmäßig Brandanschläge auf Wohngebäude und Jugendklubs gab. Meist sind es Keller oder – gerade bei Jugendklubs – Mülltonnen, die abgefackelt werden. Die Polizei hatte eine schwere Brandstiftung am 9. Oktober 2022 vermerkt, die sie, wie es heißt, dem »Phänomenbereich rechts« zuordnet.
Was ist damals passiert?
Das Ziel waren Geflüchtete in einem Wohnhaus in der Zingster Straße. Vier Tatverdächtige, darunter auch Leon Suslik, wurden ermittelt. Suslik, dem die Beteiligung an verschiedenen Bränden vorgeworfen wird, soll außerdem rassistische Drohbriefe an den Tatorten bzw. in deren Umfeldern hinterlassen haben. Am 30. Dezember 2022 kam es zu Hausdurchsuchungen in Berlin und NRW. Seitdem sitzt Suslik auch in Untersuchungshaft. Wie sich am Dienstag vor Gericht herausgestellt hat, war der Grund für die Razzien die Gefahr eines Anschlags auf eine Geflüchtetenunterkunft, von der die Polizei aus der Telekommunikationsüberwachung der Beschuldigten erfahren haben will.
Was förderte die Verhandlung zutage?
Sicher ist, dass wir es mit einer rassistisch motivierten Anschlagsserie zu tun haben. Vieles hätte schon früher Alarm auslösen müssen. Zum Beispiel, dass Suslik und sein Freundeskreis trotz des jungen Alters bereits seit Jahren ideologisch als gefestigte Neonazis auftreten. Das berichten Sozialarbeiter*innen aus den von ihnen besuchten Jugendklubs und Verwandte der Täter. In den Klubs erhielten sie mehrfach Hausverbot, unter anderem wegen Diebstahl und kleinerer Brandstiftungen. Später sind dann auch diese Einrichtungen Opfer der Brände geworden. Die Täter wirken sehr unprofessionell, gehen unüberlegt vor und belasten sich gegenseitig bei der Polizei. Unser erster Eindruck ist, dass hier sehr verhaltensauffällige Jugendliche auf eine vorherrschende rechte Jugendkultur treffen, die in Hohenschönhausen verankert ist.
Durch die Brandserie ist bislang niemand ernsthaft zu Schaden gekommen. Wer wie die Täter nachts Keller in hochgeschossigen Wohnhäusern anzündet, riskiert jedoch eindeutig, dass Menschen verletzt werden …
Diesen Eindruck kann man auch aus den Drohschreiben gewinnen, die in der Nachbarschaft der Tatorte verteilt wurden. Sie beziehen sich klar auf die Brände, weil auf der Vorderseite meistens stand: »Viel Spaß beim Löschen«. Darin wurden rassistische Forderungen gestellt, zum Beispiel dass Migration und Islamisierung zu stoppen seien und anderenfalls rechte Terrortaten gegen Zivilist*innen drohen würden.
Was ist auch aus dem Prozess über die anderen Verdächtigen noch bekannt?
Roy Böhme wird beispielsweise als sehr guter Freund von Suslik beschrieben und ist ebenso ein gefestigter Neonazi. Während Suslik immer noch gesprächsbereit im Klub aufgetreten sei und seine Meinung über den Nazismus diskutieren wollte, die offen faschistisch war, hat sich Böhme gar nicht auf Gespräche eingelassen. Die vier Beschuldigten sind alle ungefähr gleich alt und ein Freundeskreis, teils noch aus Schulzeiten.
Was unternimmt Ihre Gruppe, um die Öffentlichkeit zu informieren?
Wir versorgen den Kiez mit antifaschistischen Infoflyern. Während des Verteilens haben wir festgestellt, dass die Einwohnerschaft zum größten Teil verunsichert ist. Die Brände gehen auch ungehindert weiter. Unseres Wissens ist nur Leon Suslik in Untersuchungshaft. Von Mitwissenden hätten wir uns schon früher Aufklärung der Nachbarschaft gewünscht, unter anderem von einem CDU-Politiker, der das Schreiben im Briefkasten hatte, oder von den JugendKlubs. Es ist notwendig, die Nachbarschaft zu informieren und sich nicht einfach auf die Arbeit der Polizei zu verlassen. Wir wollen auch, dass sich mehr antifaschistische Strukturen im Kiez herausbilden. Es mangelt an selbstorganisierten Anlaufstellen für nichtrechte Jugendliche.