Stiller Abgang beim Utgard Tattoo

LadengeschĂ€ft an einer HĂ€userecke. Die Jalousien sind heruntergelassen und ziemlich verschmutzt. Die Fassade hat unregelmĂ€ĂŸige Abschnitte hellerer und dunklerer Farbe, darauf ist ein einzelnes rotes Graffiti.
Die nun leere Fassade des ehemaligen Utgard Tattoo in der Fanninger Str. 35

UPDATE: Das Utgard kommt aktuell in Oranienburg, in der Stralsunder Str. 7 beim „Colour of Skin“ unter. Weitere Infos hier: https://kontrapolis.info/10522/

Aktuell sieht die Fassade der Fanninger Str. 35 sehr danach aus, als wĂ€re es mit dem Utgard Tattoo in Lichtenberg endgĂŒltig vorbei. Der Tattooladen von Frank Lutz und Linda Braun-Warnecke war einer der wenigen verbleibenden Locations der Neonaziszene in Alt-Lichtenberg und daher immer wieder Ziel antifaschistischer Besuche, die bis zur Eröffnung des Studios 1997 zurĂŒckgehen. Zuletzt wurde Ende 2015 die Fassade großflĂ€chig mit einem Farbfeuerlöscher angegangen [1], 2021 gab es ButtersĂ€ure und Farbe fĂŒr den Naziladen [2] und 2022 markierte eine feministische Gruppe das Lokal und die Umgebung anlĂ€sslich des feministischen Kampftags [3].

40 Jahre Nazischeiss

Ein Mann Mitte 50 mit dunkler Brille, schwarzem T-Shirt und Schwarzen Gummihandschuhen beugt sich ĂŒber etwas. Sein linker Arm ist tĂ€ttowiert, in der anderen hĂ€lt er eine TĂ€ttowiernadel
Frank Lutz als GasttĂ€ttowierer im „Nordic Thunder“ (2021)

Inhaber Frank Lutz war bereits Mitte der 80er Jahre in zahlreichen millitanten neonazistischen Strukturen aktiv, unter anderem in der Lichtenberger Front und in der Bewegung 30. Januar, aus denen 1990 die Nationale Alternative (NA) hervorging. Er war somit maßgeblich beteiligt am von Neonazis besetzten Haus in der Weitlingstraße 122 und die damit zusammenhĂ€ngende rechte Gewalt im gesamten Weitlingkiez. Nach dem Ende der NA war der heute 55-JĂ€hrige bei der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) aktiv [4]. 

Gruppenfoto auf einer Straße in den Bergen.Im Vordergrund posieren 3 Frauen, dahinter 4 MĂ€nner.
Linda Braun (vorne, 2 v.r.) zusammen mit Mitarbeitern des Tattoostudio „Walk The Line“ in Hildesheim (2017)

Linda Braun-Warnecke hat ebenfalls eine langjĂ€hrige Verbindung in die neonazistische Szene. Um 2000 war die  heute 44-JĂ€hrige im Umfeld der Berliner „Vandalen“ aktiv und zeitweise mit Helmar Steffen Braun verheiratet, der den Vandalen angehört. Wenig spĂ€ter tauchte sie bei Blood & Honour-Nachfolgestrukturen in Hildesheim auf und arbeitete beim dazugehörigen Tattoostudio „Walk the Line“. Ihre Verbindungen reichen somit tief bis ins NSU-UnterstĂŒtzer*innen Umfeld hinein und ĂŒber ihren neuen Lebenspartner Markus Warnecke auch in die Organisierte KriminalitĂ€t der Hells Angels[5].

Heute wohnen beide Inhaber*innen höchstwahrscheinlich nicht mehr in Berlin. Frank Lutz ist im Brandenburger Gossen-Neu Zittau gemeldet, Linda Braun-Warnecke im Mecklenburger Stechlin.

Dass auch das Utgard kein unpolitisches Projekt war, zeigte sichimmer wieder: Um 2000 versuchte Ralf Lukow aus dem NSU-Umfeld hier ein Gewehr mit Zielfernrohr zu beschaffen. Da ein V-Mann dies dem Brandenburger Verfassungsschutz steckte, wurden Lukow, Lutz und 2 weitere festgenommen [6]. FĂŒr die Beschaffung der Waffe wĂ€ren sehr wahrscheinlich die Vandalen zustĂ€ndig gewesen.
Die Im Studio gestochenen Motive sind ebenfalls aussagekrĂ€ftig: so werden durch Frank Lutz und seine Mitarbeiter*innen Motive mit nationalsozialistischen Inhalten gestochen, unter anderem (stilisierte) Hakenkreuze und das Portrait Horst Wessels [2]. Wie die Antifa-Bern 2021 berichtete [7], tĂ€ttowiert Frank Lutz in letzter Zeit als Gast im schweizer Tattostudio „Nordic Thunder“, vermutlich da das Utgard pandemiebedingt zeitweise geschlossen war. Betrieben wird das „Nordic Thunder“ in Brig von Silvan Gex-Collet, Chef dort ansĂ€ĂŸigen Blood & Honour Sektion.

Verlust an neonazistischer Infrakstruktur in Lichtenberg

Eine Schemenhafte person bei Nacht vor einem LadengeschÀft auf der Ecke eines GebÀudes. In de Hand hÀlt die Person einen Schlauch, aus dem dunkle Farbe in Richtung der Fassade strömt.
Verschönerung des Utgard Tattoo mittels Farbfeuerlöscher (2015)

Unklar bleibt, ob die Betreiber*innen neue RĂ€ume fĂŒr den rechten Tattooladen finden werden. Dass sie das GeschĂ€ft an den Nagel hĂ€ngen wĂ€re zwar wĂŒnschenswert, im Hinblick auf die Personalien aber unwahrscheinlich. Sollte der rechte Fleck wirklich endgĂŒltig aus dem Lichtenberger Kiez verschwinden, wird es langsam eng fĂŒr die verbleibenden Nazitreffpunkte. Nachdem der „Zapfhahn88“ in Alt-Hohenschönhausen vor wenigen Jahren dichtgemacht hat [8], suchen die verbliebenen Kieznazis Ausweichlocations. Die Trefferbar sowie die angrenzende Billiard-Lounge in der Weitlingstraße 74 sind zum Beispiel seit lĂ€ngerem als BFC-Fankneipe bekannt, von der aus immer wieder rechte VorfĂ€lle ausgehen, darunter Pöbeleien, HitlergrĂŒĂŸe und RechtsRock aus dem Vorgarten. An der TĂŒr und auf den Klos kleben rechte Sticker und III. Weg Propagandamaterial. Einzelne Aktivisten der Partei gehen hier regelmĂ€ĂŸig ein und aus. Im gleichen Kiez ist auch weiterhin den Treffpunkt der „Vandalen – Ariogermanische Kampfgemeinschaft“, das von Heiko Weber und Mandie Varschen betriebene „Sturgis“ in der Magaretenstraße. Es dient noch immer dem gesamten Spektrum der Berliner Neonaziszene und darĂŒber hinaus als Anlaufpunkt, den es ihnen endlich zu nehmen gilt!