„Der Mord an Kurt Schneider – eine Chronologie“ – Auszug aus der Gedenkbroschüre

Dies ist ein Auszug aus der Broschüre „Aktives Gedenken in Lichtenberg an Opfer rechter Gewalt – Kurt Schneider“. Sie wird zusammen mit einer weiteren Broschüre über Eugeniu Botnari am 17. September 2020 veröffentlicht. Beide Broschüren werden auch bei der Gedenkkundgebung an Eugeniu Botnari am 17. September 2020 ab 17:00 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz S+U Lichtenberg verteilt.


Der Mord an Kurt Schneider – eine Chronologie

Von „Antifaschistische Vernetzung Lichtenberg“ (AVL)

Der Berliner Bezirk Lichtenberg war bis vor einigen Jahren ein besonderer Brennpunkt rechter Gewalt. Dieser fiel auch Kurt Schneider zum Opfer, welcher in der Nacht vom 5. zum 6. Oktober 1999 von einer Gruppe Neonazis aus sozialchauvinistischen Motiven ermordet wurde. Seit Beginn der 1390er Jahre sind in Berlin mindestens 20 Menschen aufgrund rassistischer und faschistischer Motive ermordet worden.

Zur Person Kurt Schneider

Über das Mordopfer Kurt Schneider ist nicht viel bekannt. Die wenigen Informationen stammen aus den Gerichtsakten. Bilder von ihm existieren nicht und es gab bisher keinen Kontakt zu Angehörigen. Kurt Schneider wurde 1961 in Königs Wusterhausen geboren. Er erlernte den Beruf des Maurers und war in diesem Beruf einige Zeit tätig. Bis 1994 lebte er bei seiner Mutter in einer Kleinstadt in Brandenburg. Dann zog er nach Berlin, wo er zunächst Sozialhilfe bezog. Nur kurze Zeit wohnte er in Lichtenberg.

Was war passiert?

Am Abend des 5. Oktober 1999 entschloss sich die Neonazi-Gruppe, die später Kurt Schneider ermordete, sich auf den Weg zu machen um politische Gegner*innen anzugreifen. Bis dahin hatten sie den Abend damit verbracht, sich gemeinsam in einem ehemaligen Neonazi-Treffpunkt, dem Cafe Chaplin (zuvor Cafe Germania) an der Ecke Normannenstraße/Ruschestraße, zu betrinken. Die darauffolgende Tour machte ihre politische Haltung deutlich: unter anderem wurde ein Jugendlicher mit einer Bierflasche geschlagen, der nach ihrer Meinung wie ein „Hip-Hopper“ aussah. Vor einem besetzten Haus in der Samariterstraße provozierten sie zudem mit rechten Parolen und Hitlergrüßen.

Zurück in Lichtenberg hielten sie sich an einer Tankstelle (vermutlich an der Frankfurter Allee 214) auf. Dort wurden sie auf ihr späteres Opfer, Kurt Schneider, aufmerksam. Dieser sprach sie beiläufig an und wurde daraufhin von den Neonazis gedemütigt und geschlagen. Schneider soll Alkoholprobleme gehabt haben, was die Täter wohl wahrnahmen und ihn deshalb auswählten. Nach einer „Versöhnung“ luden sie ihn in eine nahe Wohnung ein. Auf dem Weg dahin wurde er im ehemaligen Urnenhain am Hoenerweg zusammengeschlagen, gegen den Kopf getreten und letztlich ausgeraubt. Kurt Schneider blieb schwer verletzt am Boden liegen. Im Anschluss zogen sich die Täter in die Wohnung zurück. Nach einer kurzen Diskussion um die Folgen der Tat entschloss sich die Gruppe, Kurt Schneider zu töten. Sie kamen zurück und ermordeten ihn mit einem mitgebrachten Messer sowie Tritten gegen Kopf und Körper.

Täter, Urteil und Einordnung

Die Täter wurden schnell gefasst. Ausschlaggebend für das Auffinden waren eine Zeugenaussage zu einem „Sieg-Heil“-Ruf in der Nacht sowie Blutspuren und leere Bierflaschen auf dem Weg zur Wohnung des Mittäters Michael Voigt. Die Mordwaffe konnte im Innenhof des Hauses gefunden werden, nachdem sie offenbar aus dem Fenster geworfen wurde. Im Jahr 2000 wurden die vier Täter zu lebenslanger Haft (Michael Voigt und Manuel Sandmann) beziehungsweise zu acht (Björn Oberjartel) und zu achteinhalb Jahren (Carsten Ufer) wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Mord verurteilt.

Die Neonazis waren teilweise einschlägig vorbestraft und rechneten sich selbst den sogenannten „Hammerskins“ zu. Björn Oberjartel gab an, bei der NPD organisiert zu sein. Manuel Sandmann gehörte zum Umfeld der „Kameradschaft Spreewacht“ und war nach eigenen Angaben Gründer der Berliner „Kameradschaft 14/88“ sowie einer Neonaziband. Obwohl der politische Hintergrund der Täter im Rahmen der Ermittlungsarbeit und des Gerichtsprozesses thematisiert wurde, flossen diese Erkenntnisse nicht in die Urteilsbegründung ein. Eine systematische Analyse, ob die Gruppe tatsächlich in Hammerskin-Strukturen eingebunden war, entfiel.

Wie auch bei vielen anderen rechten Übergriffen wurden beim Tod von Kurt Schneider die menschenverachtenden Motive der Täter nicht beachtet. Im Gegensatz zu dem, was Rechte oft suggerieren – dem Einstehen für sozial schwache „Deutsche“, ist Sozialchauvinismus ein wichtiges Element rechter Ideologien. Menschen, die keine Anstellung haben, Sozialhilfe empfangen oder wohnungslos sind, gelten bei ihnen als „asozial“ und „minderwertig“. Dabei ist der Hass gegen soziale Randgruppen nicht nur in der neonazistischen Ideologie angelegt. Die Diskriminierung von Sozialhilfeempfänger*innen und Wohnungslosen ist ein strukturelles, gesamtgesellschaftliches Problem, was wiederum rechte Übergriffe befeuert. Der ideologische Kontext darf also gerade nicht ignoriert werden, begründet sich doch hier die exzessive Gewalt gegen sozial schwächer gestellte Menschen.

So wurde Kurt Schneider zunächst nicht als Mordopfer rechter Gewalt geführt und die Tathintergründe waren Antifaschist*innen lange Zeit nicht bekannt. Er wurde in einem anonymen Urnengrab auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt.

Was ist mit den Tätern geschehen?

Einige Hinweise deuten darauf hin, dass die extrem rechten Einstellungen und Kontakte der Täter auch nach der Inhaftierung fortbestanden: Oberjartel schrieb während seiner Haft einem anderen Inhaftierten einen Brief, in dem es um Rechtsrock-CDs geht, Ufer äußerte sich in mehreren beschlagnahmten Briefen rassistisch, Voigt schrieb an die Wand eines Warteraums „Voigt war hier. Grüße an alle Kameraden.“ Dabei verwendet er im Wort „Grüße“ SS-Runen.

Auch Manuel Sandmann scheint weiterhin bekennender Neonazi gewesen zu sein. So wurde er regelmäßig von Lichtenberger Neonazis in der Justizvollzugsanstalt (]JVA) Tegel besucht. Allgemeinhin galt diese JVA als „Neonazi-Streichel-zoo“. Hier konnten laut damals inhaftierten Antifaschist*innen mehr als ein Dutzend Neonazis rund um den Sänger der Neonazi-Band Landser, Michael Regener, frei agieren und wurden durch JVA-Beamt*innen bevorzugt. Es hieß sogar, dass die Neonazis jeden zweiten Sonntag in der Kirche Kameradschaftstreffen abhalten konnten. Auch noch ein Jahr nach seiner Haftentlassung schien Sandmann laut Fotos Neonazi-Bekleidungsmarken zu bevorzugen.

Anerkennung als Opfer rechter Gewalt

Im Zuge der Studie „Klassifikation politisch rechter Tötungsdelikte – Berlin 1990 bis 2008“ des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, wurde Kurt Schneider 2018 sowie weitere Personen als Todesopfer rechter Gewalt nachträglich anerkannt.

Seit 2019 organisieren Antifaschist*innen ein Gedenken an Kurt Schneider. Dabei ist es Ziel, die Opfer und die Motive rechter Gewalt sichtbar zu machen. Das Gedenken gliedert sich in die Kampagne „Niemand ist vergessen“ ein, die eine Gedenkkampagne für die Opfer rechter Gewalt in Berlin darstellt.